Triggerwarnung: Thema Suizid
Diesen Post schreibe ich als Selbsterfahrene mit Todessehnsüchten, als Verlassene von Menschen in meinem nahen Umfeld, die sich für den Freitod entschieden haben und als Peer-Arbeiterin, als welche ich unter anderem mit Menschen zusammenarbeite, welche oft Todessehnsucht haben oder gar chronisch suizidal sind. Und nun leider, ist eine meiner Klientinnen durch den Freitod vom Leben geschieden.
Ich lebe sozusagen trialogisch mit dem Thema Suizid. Als Betroffene, Angehörige und Fachperson.
Als ich noch stark mit der Borderlineerkrankung zu kämpfen hatte, war der Wunsch nach dem Tod oder eben: “..dass alles einfach vorbei ist” lange Zeit allgegenwärtig. Ich war nicht Lebensmüde - aber müde vom Leben. Unter anderem führte die Impulsivitätsstörung aber auch Depressionen zu mehreren Versuchen, aus meinem Leben zu gehen. Doch ich konnte mir immer noch rechtzeitig Hilfe holen. Denn in dem Moment, als ich die Medikamente schluckte dachte ich immer: “Nein - ich will nicht sterben. Aber ich weiss nicht, wie ich leben kann.” So griff ich also zu Telefon und wählte den Notruf.
Der Tod faszinierte mich, war er doch für mich immer die letzte Hoffnung eines Ausweges. Zum Glück “war”! Heute lebe ich gerne. Suizidgedanken jedoch, treten immer mal wieder auf. Besonders, wenn ich mich äusserst hilflos fühle. Ich bin dankbar, geschieht dies nur noch selten und habe ich einen guten und sicheren Umgang damit gefunden.
Was hält mich in diesen dunklen Momenten mit diesen schweren Gedanken unter anderem am Leben? Es ist der Verlust von zwei Menschen, die sich für den Freitod entscheiden haben. Lange litt ich an Selbstvorwürfen. “Hätte ich mich doch öfters gemeldet!”, “Hätte ich mich doch nochmals mit ihm getroffen.”, “Hätte ich doch den Anruf angenommen!” Es war schwer, diese selbst aufgebürdete Last zu tragen. Ich bin froh, konnte ich sie abladen. Mit professioneller Hilfe.
Bei der zweiten Person versuchte ich es “besser” zu machen. Oder eben “anders”. Half auch nichts. Ausser mir. Mir half die tiefe Erkenntnis, dass ich niemanden retten kann. Die Erfahrung der Ohnmacht, Hilflosigkeit und der tiefen Trauer jedoch, hilft mir, in diesen schweren Momenten der eigenen Todessehnsucht an meine Liebsten zu denken. Ich denke, dass ich ihnen dies ersparen will. Und jetzt denke ich, wie doof dieser Satz klingt. Denn niemand, will dies jemanden antun. Es zeigt ein weiteres Mal, wie unglaublich gross die Not von Betroffenen ist.
Auch in meinen Begleitungen von Menschen, die in schweren Krisen stecken und oft auch starke Todessehnsüchte haben, kann ich niemanden retten. Ich kann für sie da sein. Zuhören. Von meinem Erleben sprechen. Ich kann irgendwie versuchen, durch meine Lebenserfahrungen, Skills und Genesungsweg “Hoffnung” zu vermitteln. Aber ich weiss, dass, wenn die Müdigkeit so hoch ist, keine Hoffnung sichtbar oder spürbar ist. Und einer dieser hoffnungslosen Tagen hat einer meiner Klientinnen das Leben gekostet.
Das Thema ist schwer. Aber mittendrin zu sein, ist tausendmal schwerer. Ich muss nicht lange überlegen, welche Skills ich hier mitgeben kann. Skills gegen Suizidgedanken? So einfach ist das nicht. Einen wesentlichen Skill für Betroffene von diesen, gebe ich aber hiermit auf den Weg:
Teile deine Gedanken! Sprich über deine Todessehnsucht. Hole dir (weiterhin) professionelle Unterstützung und halte aus!
Und was, wenn mir solche Gedanken anvertraut werden? Was kann ich tun?
Hier Skills für Angehörigen von Menschen mit Suizidgedanken:
1. Achtsamkeit und Selbstfürsorge
Eigene Grenzen erkennen: Es ist wichtig, die eigenen Belastungsgrenzen zu kennen und sich nicht zu überfordern.
Emotionale Regulation: Mit den eigenen Gefühlen wie Angst, Schuld oder Hilflosigkeit umgehen lernen.
Selbstfürsorge-Routinen: Regelmässige Pausen, Bewegung, Entspannungstechniken und Austausch mit Vertrauenspersonen.
2. Kommunikation
Offene Fragen stellen: „Wie geht es dir wirklich?“ oder „Hast du daran gedacht, dir das Leben zu nehmen?“
Aktives Zuhören: Ohne zu urteilen oder zu unterbrechen, mitfühlend zuhören.
Validierung: Die Gefühle und Gedanken des Betroffenen ernst nehmen, z. B. „Es klingt, als wäre das gerade unglaublich schwer für dich.“
3. Krisenmanagement
Warnsignale erkennen: Rückzug, Hoffnungslosigkeit, verändertes Verhalten oder das Teilen von Abschiedsgedanken.
Sicherheitsplan erstellen: Gemeinsam überlegen, was in einer akuten Krise hilft (z. B. Telefonnummern von Notdiensten oder Vertrauenspersonen).
Professionelle Hilfe einbinden: Kontakt zu Therapeuten, Ärzten oder Krisendiensten herstellen.
4. Praktische Unterstützung
Begleitung: Hilfe bei Arztbesuchen oder beim Kontakt mit Beratungsstellen.
Struktur bieten: Unterstützung bei der Alltagsbewältigung, z. B. durch Routinen oder kleine Aufgaben anbieten.
Notfallplan: Wissen, welche Schritte bei akuter Gefahr notwendig sind (z. B. Polizei oder psychiatrische Notaufnahme kontaktieren).
5. Grenzen setzen
Verantwortung teilen: Es ist nicht die Aufgabe eines Einzelnen, jemanden zu „retten“. Verantwortung sollte auf mehrere Schultern verteilt werden.
Nein sagen können: Wenn die eigene Kapazität erreicht ist, andere Ressourcen oder Personen hinzuziehen.
6. Wissen über Suizidalität
Psychoedukation: Grundwissen über Suizidgedanken, Risikofaktoren und Mythen.
Notfallnummern kennen: In der Schweiz z. B. die Dargebotene Hand (Tel. 143) oder die Kinder- und Jugendhilfe (Tel. 147).
An dieser Stelle wünsche ich allen Verlassenen viel Kraft, Mut und Zuversicht, den Betroffenen sende ich eine liebevolle, ehrliche Umarmung und allen Überlebenden: “Ich bin stolz auf dich!”
Schön, dass Du da bist.